Psychisch krank, denunziert oder beides?
Wolf Wilberg wurde am 13.06.1902 geboren. Die einzige gesicherte Erkenntnis über seine Vergangenheit vor 1945 besteht über seine Tätigkeit als Rechtsanwalt in Rheinsberg. 1949 verlässt Wolf Wilberg Rheinsberg aus zunächst zweifelhaften Gründen.
Am 07.01.1950 wurde Wolf Wilberg zur aufhilfsweisen Beschäftigung beim Wiedergutmachungsamt Berlin eingestellt. Im Oktober 1949 habe er laut eigener Angabe Rheinsberg verlassen, weil ihm "zu Ohren gekommen" war, dass er beschuldigt wird, die Blockpolitik untergraben zu wollen. Er floh daraufhin nach Berlin und wurde dort wegen seiner Schilderungen als "politischer Flüchtling" anerkannt.
Seine Zeit in den Wiedergutmachungsämtern war gekennzeichnet von den komplizierten, auch politisch konotierten Umständen und geprägt von seiner möglichen strafrechtlichen Vergangenheit in Rheinsberg. Zwischen Arbeitskollegen aus dem Wiedergutmachungsamt und Wilberg werden viele- teils widersprüchliche- gegenseitige Anschuldigen vermerkt. Auf der anderen Seite wird er von Kollegen anchdrücklich unterstützt, sodass sich zunächst ein uneinheitliches Bild vond er Situation abzeichnet.
“Bitte, für Wilberg beschleunigte Zugangsgenehmigung zu erwirken, da es auch im dringlichen dienstlichen Interesse liegt, wenn er ohne seelischen und wirtschaftlichen Druck seine ganze Arbeitskraft für seine verantwortungsvolle Aufgabe als Mitglied beim Wiedergutmachungsamt einsetzen kann." [Personalakte Senatsverwaltung]
Dann mehren sich die Vorwürfe
Kollegen von Wilberg behaupten, er habe sich den Status als politischer Flüchtling erschlichen. Rheinsberg habe er nur aus Angst vor Strafverfolgung verlassen, weil gegen ihn Anzeige wegen Untreue als Rechtsanwalt erstattet worden sei. (Angabe Personalakte, Dr. Fischer, Wiedergutmachungsamt). Dr. Fischer legt zudem Wilbergs vermeintlichen politischen Beziehungen in Rheinsberg zu einzelnen Parteien offen. Wilberg versichert an Eides statt, dass er Ortsgruppenleiter der NDP Rheinsberg gewesen sei und die SED ihn und [seinen Partner oder Freund] Herrn Stellmacher deshalb fälschlich beschuldigen. Die LDP Fraktion Rheinsberg schreibt daraufhin an die FDP Berlin, Wolf Wilberg und Herr Stellmacher seien "Kriminelle".
"Die Staatsanwaltschaft im Westsektor soll sich mit diesem Volksschädling befassen. Damit Sie nicht annehmen, dass die hiesige Stadtverwaltung unter SED Führung steht, wollen Sie bitte davon Kenntnis nehmen, dass die LDP die Mehrheit der abgegebenen Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte, Stadtverordnetenvorsteher und Bürgermeister stellt etc. [...] Diese Elemente schaden unserem politischen Ansehen und müssen entlarvt und bestraft werden.”
Neben den - angesichts der politisch angespannten Situation- kritisch zu betrachtenden Angaben, häufen sich jedoch Eingaben von Kollegen zum geistig besorgniserregenden Zustand Wilbergs. Die Verdichtung der abgegeben Stellungnahmen im Laufe der Zeit legt den Schluss nahe, dass Wolf Wilberg unter einer psychischen Krankheit litt. Die strafrechtlichen und politischen Anschuldigungen als solche lassen sich indes weder bestätigen noch widerlegen. So bleibt offen, was der Wahrheit entsprach und was sich möglicherweise allein in der Vorstellung von Wilberg selbst abgespielt hat oder von der SED fabriziert wurde.
Wolf Wilbergs NSDAP‐Mitgliedschaft konnte nach der Untersuchung im Archiv der Senatsverwaltung für Justiz aufgrund fehlender Belege nicht hinreichend nachgewiesen werden. Lediglich Vorwürfe von Kollegen, er sei Parteimitglied gewesen, standen im Raum. Wilberg hatte nach dieser Akte die Parteimitgliedschaft stets bestritten. Eine Auskunftsanfrage der Senatsverwaltung an das Büro des Hohen Kommissars für Deutschland/BERLIN ELEMENT zur möglichen NSDAP‐Mitgliedschaft lag der Akte zwar bei, die Antwort darauf war allerdings nicht vorzufinden.
Aufgrund der Akten des Berlin Document Center (R9361‐I) lässt sich nun bestätigen, dass Wolf Wilberg tatsächlich nie Mitglied der NSDAP war, allerdings nicht, weil er nie beitreten wollte. Wilberg schrieb einen Brief an die Reichsparteileitung, in der er sich über die Ablehnung seiner Aufnahme in die NSDAP beschwerte. Er vermutete ein Einschreiten hoher Parteiführer zu seinen Ungunsten und mokierte sich, dies sei doch ein sozialdemokratisches Gebaren und der NSDAP ganz und gar unwürdig. Er empfand die endgültige Ablehnung als „ganz besondere Härte und Unbilligkeit“. Er sei aus dem Staatsdienst ausgetreten, habe seine sichere Existenz aufgegeben und einen freien Beruf ergriffen: „Nur um der Nationalsozialistischen Bewegung, in der ich allein die Rettung Deutschlands erblicke, unter Einsetzung meiner ganzen Person dienen zu können“. Er habe auch persönliche Opfer gebracht, weil sein Schwiegervater infolge seines Eintretens für die NSDAP die Verlobung mit seiner Tochter gelöst habe. Ebenso würden ihm deshalb „die überwiegend jüdischen Anwälte jegliche Unterstützung“ versagen. Daher wirke es „verbitternd, wenn die eigene Partei einem ohne Grund gewissermaßen in den Rücken fällt“. Die Reichsparteileitung antworte auf den Brief nur mit der Angabe, dass gemäß der Satzung der NSDAP die Ablehnung von Neuangemeldeten ohne Angabe von Gründen durch den ersten Vorsitzenden der Ortsgruppe erfolgen kann.
Aus der Personalakte beim Reichsjustizministerium ergibt sich weiterhin, dass er auch schon vor 1945 im Jahre 1930 wegen eines Nervenzusammenbruchs mehrere Monate dienstunfähig war und ebenso, dass Wilberg von 1919 – 1923 Mitglied der DNVP war, Mitglied des Stahlhelms von 1931 – 1933 sowie Mitglied des NSRB, des NSV und RLB. Bemerkenswert ist auch, ebenfalls eine Information, die bei der ersten Untersuchung nicht im Ansatz zu Tage trat, dass Wilberg seit Oktober 1933 Mitglied der SA im Dienstgrad eines Scharführers war.